BGH zum Kindesunterhalt: Zahlungspflichtiger kann auf Großeltern verweisen

Jüngste Entscheidung mit erheblicher Praxisrelevanz – Abänderungen sind möglich

Es ist grade zwei Wochen her, dass wir hier kritisch zu einer Entscheidung des OLG Dresden berichtet hatten. Der Bundesgerichtshof hat sie unerwartet bestätigt (Beschluss vom 27.10.21 – XII ZB 123/21). Der Umstand, dass die Karlsruher Richter extra eine Pressemitteilung herausgegeben haben, zeigt die Bedeutung. Seit 6.12.2021 sind nun auch die Gründe verfügbar.

Wer Kindesunterhalt bezahlen muss und arbeiten geht, darf 1.160 € für sich selbst zum Leben behalten. Bei einer Unterhaltspflicht für zwei Kinder im Teenageralter braucht der Vater bzw. die Mutter ein Nettoeinkommen von über 2.000 €, um mehr für sich zu haben. Das Kind muss sich dann an diese halten. Der BGH setzt die Grenze nun auf 1.400 € herauf, wenn es Großeltern mit gutem Einkommen gibt. Das BGB hat sich nicht verändert, sondern seine Interpretation.

Die Herausforderung: Der Unterhaltspflichtige muss den Beweis für die gute finanzielle Situation der Großeltern erbringen. Weigern sich diese, Auskunft zu erteilen, muss er sie gerichtlich auf Auskunft in Anspruch nehmen. Da es vier Großeltern gibt, kann bereits die Einholung der Auskünfte eine Herkulesaufgabe werden. Beruft sich der Unterhaltspflichtige erfolgreich auf den BGH, muss das Kind im Zweifel ein weiteres Verfahren gegen die Großeltern führen. Wenn es in Anspruch nimmt, kann es sich aber aussuchen.

Kindesunterhaltssachen werden nun in einigen Fällen deutlich komplizierter. Schnell gehen kann es bei Fällen, bei denen die die Kinder betreuende Mutter offensichtlich gutverdienende Eltern hat. Wenn diese ihre Einkommensverhältnisse nicht aufdecken wollen und die 240 € monatlich freiwillig übernehmen, kann es zügig eine Entlastung geben.

Auch bestehende Unterhaltverpflichtungen können wegen dieser neuen Rechtsprechung abgeändert werden. Eine wesentliche Veränderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung erlaubt entsprechende Verfahren. Wie immer werden sich die Details erst bei der praktischen Anwendung zeigen. Elternteile, die voraussichtlich noch für längere Zeit Unterhalt bezahlen müssen und eine Vorstellung der Verhältnisse in der Großelterngeneration haben, sollten überlegen, ob Sie sich den BGH zu zu nutze machen.

Ergänzung vom 06.12.2021:

Entscheidend für die Praxis sind die Ausführungen des Beschlusses. Dort heißt es:

Nach der Rechtsprechung des Senats, die auch die Auswirkungen des § 1603 Abs. 2 Satz 3 Halbsatz 1 BGB in den Blick nimmt, können Großeltern gegenüber ihren Enkeln als angemessenen Selbstbehalt den Betrag verteidigen, der auch erwachsenen Kindern gegenüber Eltern zugebilligt wird. Denn eine Inanspruchnahme wird in der Regel erst stattfinden, wenn der Unterhaltsverpflichtete sich selbst bereits in einem höheren Lebensalter befindet, seine Lebensverhältnisse demzufolge bereits längerfristig seinem Einkommensniveau angepasst hat, Vorsorge für sein eigenes Alter treffen möchte oder sogar bereits Rente bezieht und sich dann einer Unterhaltsforderung ausgesetzt sieht, für die nach der natürlichen Generationenfolge die Eltern aufzukommen haben und für die er deshalb nur nachrangig haftet.“

BGH unter Randnummer 27

Diese Passage deutet darauf hin, dass die Grenzen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes auch hier geilten, also die 100.000 € Grenze, die seit dem 1.1.2020 gilt. Dieses Gesetz hat den Elternunterhalt in der Praxis weitgehend bedeutungslos gemacht, weil es kaum Kinder gibt, deren Einkünfte sich auf über 100.000 € pro Jahr summieren. Dies dürfte bei den Großeltern noch öfter gelten, da sie oftmals schon aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind.

Da sich die Entscheidung des BGH auf die Zeit vor 2020 bezieht, bleibt es den Gerichten überlassen, ob sie die Vorschrift ebenso sehen.