Der Fall Archie: So wäre es in Deutschland

Ist das Abschalten der Maschinen gegen den Willen der Eltern möglich?

Viele Medien berichteten von Archie, einem zwölfjährigen Jungen aus England, der mit schwersten Hirnverletzungen im Krankenhaus. Auslöser war ein massiver Sauerstoffmangel, verursacht durch eine Strangulation, möglicherweise als Folge einer verunglückten Internetmutprobe. Archie war hirntot, Maschinen hielten die Körperfunktionen aufrecht. Die Eltern wollten nicht, dass diese Maschinen abgestellt werden, sind aber vor Gericht mit ihrem Anliegen gescheitert.

In Deutschland ist ein Mensch rechtlich betrachtet tot, wenn der Hirntod eingetreten ist, wenn das Hirn also keine Funktionen mehr zeigt (das ist der Unterschied zum Wachkoma, wo Teile des Gehirns noch arbeiten). Ärzte dürfen die Maschinen dann abstellen. Doch könnten die Eltern dies verhindern? Denkbar ist, dass sie unter Berufung auf ihr Sorgerecht einen Antrag auf Unterlassen des Abstellens stellen oder auf die Verpflichtung, die Maßnahmen zu erhalten. Das dürfte keine Angelegenheit für das Familiengericht sein, sondern in die Zuständigkeit des Landgerichts fallen. Die Zulässigkeit der Klage kann man schon mit einem Fragezeichen versehen: Können die Eltern das Kind überhaupt noch vertreten, wenn es tot ist? Doch hier sind die Hürden nicht so hoch.

Hirntod ist rechtlich gesehen tot.

Bejaht das Gericht die Zulässigkeit, stellt sich die Frage nach einer Anspruchsgrundlage, also nach einem Gesetz, das dem Kind das geforderte Recht gibt. Hier ist bei den „normalen“ Gesetzen nichts ersichtlich. Also wird man versuchen, den Anspruch aus dem Grundgesetz abzuleiten und dem dort geregelten Recht auf Leben (Art. 2) und die Menschenwürde des Art. 1.  Auch würde man wohl Art. 6 ins Feld führen, der Elternrechte schützt. Den Eltern wird man die Entscheidung z.B. zubilligen, über die Art der Bestattung oder auch über eine Organspende, jedenfalls bei jüngeren Kindern, zu entscheiden. Mit dem hiesigen Anliegen hätten die Eltern aber wohl keinen Erfolg.

Auch eine Klage der Eltern nicht als Vertreter des Kindes, sondern aus eigenem Elternrecht kann man diskutieren, ebenso wie die Anrufung des Verwaltungsgerichts. Der Ansatz wäre hier, den Staat auf ein Tätigwerden zur Gefahrenabwehr in Anspruch zu nehmen. Scheitern wird auch dies, weil es für ein hirntotes Kind keine Gefahr mehr gibt, die er abwenden könnte. Der Schaden hat sich bereits schlimmstmöglich realisiert.